Bei Deals und Strafrecht mag manch einer zunächst an Drogendeals denken (was sicherlich nicht völlig falsch ist). In diesem Beitrag geht es allerdings um sogenannte Verständigungen, also Verfahrensabsprachen, bei denen sich die Beteiligten im Strafprozess – die Verteidigung, die Staatsanwaltschaft und das Gericht – im Gegenzug für ein Geständnis auf einen bestimmten Ausgang des Verfahrens einigen.
Der Strafprozess als geregelter Konflikt
Grundsätzlich ist der deutsche Strafprozess kontradiktorisch aufgebaut, d.h. verschiedene Prozessbeteiligte ringen miteinander um die Wahrheit. Da gibt es auf der einen Seite die Staatsanwaltschaft, die die Anklage vertritt und auf der anderen Seite die Verteidigung, die diese zu entkräften versucht. Das Ergebnis dieses Erkenntnisverfahrens, das Urteil, ist am Ende oft ein Kompromiss. Dass sich alle einig sind, also einen Konsens erzielen, zählt aber mitnichten zu den Verfahrensmaximen im Strafprozess.
Das Bedürfnis nach Verständigung
Im Einzelfall kann so ein Strafprozess ziemlich beschwerlich sein. Wenn beispielsweise einem Angeklagten eine Vielzahl von Straftaten oder sehr komplexe mutmaßlich strafbare Sachverhalte (etwa in Wirtschaftsstrafverfahren) vorgeworfen werden und er diese bestreitet, zwingt dies das Gericht aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes (Inquisitionsmaxime) mitunter zu einer langwierigen und zähen Beweisaufnahme. So könnte es etwa nötig werden, etliche Verhandlungstage anzuberaumen und zig Zeugen zu vernehmen. All das kostet Zeit, Geld und durchaus auch Nerven.
Auf der anderen Seite hat ein Geständnis in der Regel eine deutliche Strafmilderung für den Angeklagten zur Folge.
Falls eine Verurteilung für alle Beteiligten absehbar ist, ist es daher naheliegend, sich zum gegenseitigen Vorteil auf einen bestimmten Ausgang des Verfahrens zu verständigen. Man schließt also einen Deal: milde Strafe gegen Geständnis.
Die Geschichte des Deals
Solche Deals hat es schon immer gegeben. Da sie allerdings grundsätzlich der Inquisitionsmaxime und dem Legalitätsprinzip (der staatlichen Pflicht, Straftaten zu verfolgen) zuwiderlaufen und daher illegal waren wurden sie heimlich geschlossen. Bei vertrauten Gesprächen in Richterzimmern, Gerichtskantinen – oder auch mal auf Golfplätzen. Selbstverständlich ohne irgendeine lästige Dokumentation. Die Angeklagten selbst waren dabei in der Regel nicht zugegen und hatten sich hinterher mit dem, was ihre Anwälte für sie ausgehandelt haben, zufrieden zu geben. In aller Regel war nämlich auch ein Rechtsmittelverzicht Teil der Absprache.
In den Fokus der Rechtswissenschaft geriet das Phänomen Deal im Jahr 1982, als der Strafrechtler Hans-Joachim Weider unter dem Pseudonym Detlef Deal (aus Mauschelhausen, natürlich) den Aufsatz „Der strafprozessuale Vergleich“ in der Fachzeitschrift Strafverteidiger veröffentlichte (StV 1982, 545). Bereits der zähneknirschende Gegensatz zwischen dem Strafprozessrecht und dem zivilrechtlichen Begriff des Vergleichs lässt erahnen, dass hiermit ein Tabu gebrochen wurde.
Auch die Obergerichte hatten sich immer wieder mit der Thematik zu befassen. Anlass waren nicht selten Revisionen von Angeklagten, die sich als unschuldig ansahen, aber sich durch eine sogenannte Sanktionsschere (d.h. einem krassen Gegensatz zwischen den zu erwartenden Strafmaßen bei Geständnis einerseits und bei streitiger Verhandlung andererseits) zum Eingehen des Deals genötigt gesehen hatten. Gerade der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner Rechtsprechung immer wieder versucht Kriterien aufzustellen, um die Wild-West-artige Realität des “Geständnishandels” zu bändigen. Trotz des praktischen Bedürfnisses, Strafprozesse durch Absprachen zu verkürzen, sollte es keinesfalls zu einem Handel mit der Gerechtigkeit kommen.
Das Verständigungsgesetz
Zum Meilenstein geworden ist der Beschluss des Großen Strafsenats des BGH vom 03.03.2005 (BGH GSSt 1/04). Hier hat der BGH nicht nur seine vorangegangene Rechtsprechung präzisiert, in dem er zwar einerseits Verfahrensabsprachen für grundsätzlich zulässig erklärt, andererseits an strenge Bedingungen gebunden hat (z.B. das Verbot des Rechtsmittelverzichts). Der Beschluss “gipfelt” in einem klaren Appell an den Gesetzgeber, eine entsprechende Norm zu schaffen, in der solche Möglichkeiten und Grenzen allgemeinverbindlich festgelegt werden, da dies mit richterlicher Rechtsfortbildung allein nicht verfassungskonform zu regeln sei.
Gesagt, getan. Im Jahr 2009 trat das sogenannte Verständigungsgesetz inkraft, mit dem die Strafprozessordnung (StPO) an einigen Stellen geändert wurde, um Verfahrensabsprachen auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Herzstück der Reform ist der neue § 257c StPO:
§ 257c Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten
(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.
(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein. (…)
Anhaltende Kritik
Nichtsdestotrotz steht die Verständigung immer noch in der Kritik.
Die Gefahr, angesichts eines ungewissen Verfahrensausgangs auch auf unschuldige Angeklagte psychologischen Druck aufzubauen (“Wenn ich den Deal eingehe, bekomme ich zumindest Bewährung; wenn nicht: schlimmstenfalls Knast”) ist beispielsweise nicht zu unterschätzen. Gerade auch um solche Situationen zu vermeiden gibt es den Amtsermittlungsgrundsatz, wonach das Gericht – entsprechend der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten – den Sachverhalt gründlich aufzuklären hat.
Auf der anderen Seite könnten Angeklagte, denen man mit mehr Mühe durchaus (mehr) Taten nachweisen könnte, mit einem Deal eher günstig davon kommen. Kritiker argumentieren daher, dass der Deal den staatlichen Strafanspruch unterlaufen würde.
Mein Standpunkt
Ich selbst halte die genannten Kritikpunkte für durchaus beachtenswert und bin insofern sicherlich keine naive “Deal-Befürworterin”. Allerdings halte ich die Frage der Vertretbarkeit für eine, die man nur anhand des konkreten Einzelfalls einigermaßen zuverlässig beantworten kann. Dabei auch die ganz praktischen Bedürfnisse des Mandanten zu berücksichtigen ist gerade für uns Verteidiger kein unbedeutender Nebenaspekt.
Außerdem sollte man bei allen Warnungen vor “Ablasshandeln” im Strafrechtswesen nicht aus den Augen verlieren, dass die Gerichte gerade auf der Rechtsfolgenseite ohnehin große Spielräume haben (etwa durch weite Strafrahmen und große “Margen” beim Zusammenzug von Gesamtstrafen) und insofern der in der Diskussion häufig als absolut dargestellte Strafanspruch gegen den Täter in der Praxis gar nicht besteht.
Soweit es jedoch darum gehen sollte, auf ihrer Unschuld beharrende Mandanten zu einem Geständnis zu raten, um den worst case (Verurteilung ohne Strafmilderung durch Geständnis – ein häufiges Problem in Sexualstrafverfahren) zu vermeiden, müssen gerade wir Strafverteidiger uns auf unsere Auftrag besinnen, nicht den einfachsten Weg zu gehen, solchen gerade solchen Mandanten zur Seite zu stehen.