Notwehr - Selbstverteidigung - Kampf - Gegner stehen sich gegenüber

Notwehr – Was ist erlaubt?

Rechtfertigungsgrund

– Wer einen Straftatbestand erfüllt, macht sich in der Regel strafbar. In der Regel. Eine Ausnahme liegt zum Beispiel dann vor, wenn der Täter für sein Handeln einen Rechtfertigungsgrund hat. Dann ist seine Tat nicht rechtswidrig, die vermeintliche Straftat ist also keine. Unter ganz bestimmten Umständen ist nämlich eigentlich strafbares Verhalten erlaubt.

Ein solcher Rechtfertigungsgrund kann zum Beispiel Notwehr sein.

Notwehr als Rechtfertigungsgrund

Ein Beispiel: wenn Tom Max mit der Faust ins Gesicht boxt, macht er sich – wenig überraschend – wegen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB strafbar. Falls Max die Schlägerei jedoch angefangen hat, ist Tom durchaus dazu berechtigt, sich selbst mit Gewalt gegen ihn zur Wehr zu setzen. Die Schläge von Max stellen nämlich einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff, also eine sogenannte Notwehrlage dar. In so einer Situation darf Tom auch eine sonst strafbare Handlung ausführen, wenn diese zur Verteidigung gegen den Angriff erforderlich sind – so bestimmt es § 32 Abs. 2 StGB. Man nennt diese Handlung dann Notwehrhandlung.

§ 32 StGB – Notwehr
(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.
(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Unerwünschte Selbstjustiz

Notwehr ist also die erforderliche Verteidigung gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff. Diese Definition mag zunächst unnötig kompliziert klingen. Man muss sich allerdings vor Augen führen, dass der Gesetzgeber es dem Einzelnen nur unter ganz bestimmten stark eingegrenzten Bedingungen gestatten möchte, das Recht in die eigene Hand zu nehmen – alles andere wäre unerwünschte Selbstjustiz.

Strenge Kriterien für Straffreiheit

Aus dieser befrifflichen Strenge folgt, dass nicht alles, was der Laie intuitiv als Notwehr bezeichnet, tatsächlich auch zur Straffreiheit führt.

Falls Max etwa ein Polizeibeamter ist, der Tom gerade mittels unmittelbaren Zwangs – also etwa durch Ergreifen und Festhalten am Arm – festnehmen möchte, würde es sich zwar um einen gegenwärtigen Angriff auf Toms körperliche Unversehrtheit handeln. Dieser wäre allerdings nicht rechtswidrig (es sei den, die Voraussetzungen für das polizeiliche Handeln lägen nicht vor), sodass die Abwehr dieses Angriffs die Kriterien für Notwehr nicht erfüllt.

Ein weiteres Beispiel

Eine Frau ist nachts allein auf dem Heimweg. Als sie einen dunklen Park durchqueren muss, hört sie hinter sich jemanden immer näher kommen. Aus Angst, gleich überfallen zu werden, dreht sie sich blitzartig um und sprüht der Person Pfefferspray ins Gesicht. Die Person, die sich nun die Augen reibt, ist allerdings kein vermeintlicher Räuber oder ähnliches, sondern auch nur eine Frau, die den gefährlichen Park aus Furcht so schnell wie möglich hinter sich lassen wollte…

Das Handeln der “Täterin” kann in diesem Beispielfall nicht durch Notwehr gerechtfertigt sein, da schon kein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf sie, also keine Notwehrlage vorlag. Was das betrifft hat sie sich geirrt. Welche Konsequenzen so ein Irrtum bezüglich des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes hat, steht nicht ausdrücklich im Gesetz. Die herrschende Meinung – und auch die Gerichtspraxis – wenden bei so einem Erlaubnistatbestandsirrtum die Regelung des § 16 Abs. 1 StGB analog an:

§ 16 StGB – Irrtum über Tatumstände
(1) Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich. Die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung bleibt unberührt. (…)

Demnach kann sich die Frau nicht wegen vorsätzlicher Körperverletzung nach § 223 StGB, sondern allenfalls wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 229 StGB strafbar gemacht haben.

Kreidezeichnung vom Tatort

Freispruch für Hells Angel, der Polizeibeamten erschoss

Was bei einer Frau, der aus Angst gegenüber einer anderen Person das Pfefferspray “ausrutscht” noch gut nachvollziehbar erscheint, führte in einem tatsächlich stattgefundenen Fall zu kontroversen Diskussionen in der Öffentlichkeit:

Ein Mitglied der Hells Angels hatte einen Polizeibeamten eines Spezialeinsatzkommandos durch seine geschlossene Haustür erschossen, da er irrtümlich annahm, die verfeindeten Bandidos würden gleich in sein Haus eindringen und ihn ermorden. Nachdem das Landgericht Koblenz den Todesschützen in erster Instanz noch wegen Totschlags verurteilt hatte, hob der Bundesgerichtshof den Schuldspruch im Jahr 2011 auf und sprach den Rocker frei (BGH, Urteil vom 02.11.2011 – 2 StR 375/11). Da die Beamten, die die Wohnung des Hells Angels durchsuchen wollten, sich nicht als solche zu erkennen gegeben hatten, bevor sie im Morgengrauen mit der gewaltsamen Öffnung seiner Haustür begannen, und dieser im Vorfeld tatsächlich ernsthafte Todesdrohungen erhalten hatte, unterlag er einem nicht vermeidbaren Erlaubnistatbestandsirrtum und durfte daher nicht wegen eines vorsätzlich begangenen Totschlags bestraft werden.

Fazit

Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass Notwehr von mehr Kriterien abhängt als gemeinhin bekannt ist und daher durchaus nicht immer als Rechtfertigungsgrund eingreift, wenn es erst einmal danach aussieht. Aber auch wenn nicht alle Voraussetzungen erfüllt sind kann der Handelnde unter Umständen straffrei ausgehen. Insbesondere dann, wenn er sich in einem Erlaubnistatbestandsirrtum befand, also fälschlicherweise von einer Notwehrlage ausging und dachte, er dürfe sich gegen einen vermeintlichen Angriff zur Wehr setzen. Dann droht allenfalls Strafverfolgung wegen einer fahrlässig begangenen Straftat.

Da die rechtliche Würdigung im Einzelfall von den ganz konkreten Umständen abhängt, sollte man sich als Beschuldigter auf jeden Fall anwaltlich beraten lassen.