Missverständnis, Fremdsprache, Verwirrung

Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK in der Praxis

Recht auf ein faires Verfahren

– Falls einer der geneigten Leser gerade nicht weiß, was Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK regelt, dem wird sofort mit einer Übersetzung ins Deutsche geholfen:

Art. 6 EMRK – Recht auf ein faires Verfahren

(…)

(3) Jede angeklagte Person hat mindestens folgende Rechte:

a) innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden; (…)

Und zwar unentgeltlich...

…, da nicht deutschsprachige Beschuldigte sonst gegenüber deutschsprachigen in unzulässiger Weise benachteiligt würden. In der Praxis funktioniert das meist recht gut – es genügt beispielsweise ein Antrag der Verteidigung, für welche Sprache ein Dolmetscher und/oder Übersetzer benötigt wird und die Staatskasse übernimmt deren Honorar.

Manchmal braucht es nicht einmal das:

Meine Mandantin, Bürgerin eines afrikanischen Staates und Leipzigerin seit Kindertagen, war an einem Handgemenge mit einer anderen Dame beteiligt, zu dem die Polizei gerufen wurde. Die Freunde und Helfer trennten die beiden Damen zunächst, nahmen pflichtgemäß die Personalien auf und führten an Ort und Stelle mit meiner Mandantin eine Beschuldigtenvernehmung in Leipziger Mundart durch, die auch zur Akte gelangte.

Es kam zur Anklage. Das Gericht wurde in der Akte auf die Staatsbürgerschaft aufmerksam und besann sich seiner Pflicht, die afrikanische Angeschuldigte in einer ihr verständlichen Sprache am Verfahren zu beteiligen. Man ließ die Anklageschrift also flugs ins Englische übersetzen und an die Angeschuldigte zustellen.

Warum Englisch? Keine Ahnung. Ich kann nur vermuten, dass das Gericht bei etwa einem Dutzend teils sehr exotischer Amtssprachen des Herkunftsstaates die Übersetzung ins Englische am machbarsten vorkam. Ermittlungen zur weiteren Muttersprache meiner Mandantin (neben Deutsch…) wurden jedenfalls nicht angestellt, das war dann wohl doch zu kompliziert. Das Ergebnis wäre auch nicht Englisch gewesen, sondern was ganz anderes.

Und so kommt es, dass eine Leipzigerin, die perfekt Deutsch spricht, eines Tages ein mehrseitiges englischsprachiges Schreiben mit sächsischem Wappen aus dem Briefkasten zieht und keine Ahnung hat, wer da was von ihr will. Erst die Akteneinsicht half dem Gedächtnis dann über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung auf die Sprünge.

Dass durch Übereifer bei der Rechtsanwendung das genaue Gegenteil des Normzwecks erreicht wird, kommt gerade im Strafrecht gelegentlich vor. Bei Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK hat es mich dann aber doch überrascht.