Eine putzige Bezeichnung
– Wie mir erst nachträglich klar wird, habe ich, bis ich die heiligen Hallen der Universität verließ und in der sogenannten Rechtspraxis ankam, den Begriff “rechtliches Gehör” für die putzige Bezeichnung einer Selbstverständlichkeit gehalten.
Als ob der rechtssuchende Bürger erst lautstarke Balzgesänge aufführen müsste, damit sich das Rechtssystem ihm zuwendet. (Naja, zumindest den Gerichtskostenvorschuss sollte er schon zahlen.) Gerade im Strafrecht ist es ja eher andersrum: manch einer bleibt lieber stumm und hofft, dass er vergessen wird. Aber letztlich kriegt doch jeder Betroffene irgendwann die Aufmerksamkeit, die ihm von Gesetzes wegen zusteht. Justizia trägt schließlich keine Ohrenschützer.
Kein Wunschkonzert
Nun lernt man aber auch schon an der Uni, dass rechtliches Gehör zwar bedeutet, dass man mit seinen Argumenten gehört wird, aber nicht, dass man auch mit seinen Wünschen erhört wird. Das Leben ist eben kein Wunschkonzert. Auch ok.
Der Beschluss ist unanfechtbar
Und dann verteidigt man in einer absolut banalen Bußgeldsache – der Betroffene war zum Tatzeitpunkt nicht Fahrer des Tatfahrzeugs und demnach auch nicht derjenige, der auf dem Blitzerfoto zu sehen ist-, stellt vor der Hauptverhandlung einen Entbindungsantrag, der nicht beschieden wird, stellt in der Hauptverhandlung einen erneuten Entbindungsantrag, der abgelehnt wird, wedelt vor dem Vorsitzenden mit Vertretungsvollmacht, eidesstattlicher Versicherung des Zeugen und allerlei Farbfotos, lehnt das “einmalige Sonderangebot” der Bußgeldverdoppelung gegen Absehen vom Fahrverbot ab, kassiert ein Verwerfungsurteil, bekommt die Rechtsbeschwerde vom OLG mit drei knappen Sätzen abgelehnt und erhält, einen halben Regenwald später, aus Karlsruhe eine kurzes Schreiben auf Ökopapier: “Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Der Beschluss ist unanfechtbar.”
Die Sache hat also drei Instanzen beschäftigt
Man könnte meinen, dass das für so eine relativ unbedeutende Angelegenheit mehr als genug rechtliches Gehör ist. Wirklich zugehört hat aber letztlich niemand.
Dass beim Bundesverfassungsgericht kein Erregungspotential für solche Widrigkeiten des Amtsgerichtsalltags besteht, kann ich ja noch irgendwie verstehen. Dass ein OLG-Bußgeldsenat, der immerhin das Ende des regulären Rechtswegs in OWi-Sachen markiert, nur einen Copy&Paste-Absatz (“Das Gericht war auch nicht verpflichtet, der Frage nachzugehen, …” – Warum eigentlich nicht?) übrig hatte für ein Problem, dass in seinem Sprengel sicher jeden Tag zehn mal vorkommt und jeden Tag von zehn Richtern in teilweise kreativster Interpretation des OWiG anders gelöst (?) wird, finde ich schon frustrierender.
Angefangen – und, wenn man’s vom Ergebnis her betrachtet, auch aufgehört – hatte das Ganze aber vorm Amtsrichter.
Nein, jetzt kommt keine “klassische” Richterschelte
Auch kein Aufregen über weltfremde Beweiswürdigung oder das Vertreten einer exotischen Mindermeinung. Das Problem war einfach, dass Herr Richter am Amtsgericht zunächst rundweg bestritten hat, dass vorweg überhaupt ein Entbindungsantrag gestellt wurde und sich anschließend schlicht geweigert hat, die von mir mitgebrachten Beweismittel auch nur anzusehen. Dann wäre die Sache sofort vom Tisch gewesen. Eine Diskussion gab es aber gar nicht, stattdessen nur lautstarkes “das gibt’s bei uns generell nicht”, zickiges “bei bestrittener Fahrereigenschaft entbinde ich nie” (a.A.: § 73 Abs. 2 OWiG) und kleinlautes “mache ich seit 20 Jahren so” (ach ja, der Klassiker). Und dann kam noch das sogenannte Sonderangebot – “nur heute” und “nur ausnahmsweise”. Nein danke, ich brülle lieber einen Richter am Amtsgericht an, als meinem Mandanten so in den Rücken zu fallen.
Dass ein Tatgericht sich derart weigert, seinen Job zu machen, ist einfach nur empörend. Und die mangelnde Bereitschaft des Rechtsmittelgerichts, solche Fehler zu sehen und zu sanktionieren ist enttäuschend. Wenn rechtliches Gehör bedeutet, dass dem Betroffenen die Behandlung seiner Angelegenheit, aber nicht die inhaltliche Auseinandersetzung mit seinem Problem garantiert wird, ist es nicht mehr als ein Feigenblatt.
Ob die Justiz tatsächlich “funktioniert”, hängt eben nicht von abstrakten Rechtsweggarantien ab, sondern davon, dass die Verantwortlichen sich tatsächlich die Zeit nehmen und die Mühe machen, sich des rechtlichen Problems anzunehmen anstatt sich selbst zu Zahnrädchen in einer auf Erledigung getrimmten Maschine zu erniedrigen. Dafür haben nicht zuletzt auch wir Rechtsanwälte zu sorgen.
Her mit der Drahtbürste!
Obwohl ich aus der Geschichte durchaus die Lehre gezogen habe, mich und meine Mandanten zukünftig auch in einfachsten Verfahren prozessual mehr – vor allem: schriftlicher – abzusichern, weigere ich mich, diese Art schlampigen Aktenzuklappens als legitime Rechtspraxis zu akzeptieren. Dass weder meine Rechtsbeschwerde noch meine Verfassungsbeschwerde Erfolg hatten irritiert mich nicht im Geringsten.
Wenn Justizias Ohren mit der Drahtbürste gereinigt werden müssen bin ich dabei.