5 mysteriöse Häschen - die 5 unbekanntesten Straftatbestände - Liebscher Strafrecht

5 Straftatbestände, die (fast) keiner kennt

Obwohl das Strafrecht nur eines von unzähligen Rechtsgebieten ist und der Durchschnittsbürger, wenn überhaupt, nur wenige Male in seinem Leben mit der Strafjustiz in Kontakt kommt, scheint kein anderes Rechtsgebiet die Menschen so sehr zu beschäftigen. In Anbetracht unzähliger Krimis und True-Crime-Formate müsste man also meinen, dass die meisten Bürger einen ganz guten Überblick darüber haben, welche Handlungen in unserem Staat strafbar sind und welche nicht. Jedenfalls gibt es hier keine kuriosen Gesetze wie anderswo auf der Welt, wo es Hühnern verboten ist nachts über die Straße zu gehen, oder so ähnlich. In Deutschland ist das Strafrecht Ultima Ratio der Verhaltenssteuerung. Das Schärfste Schwert des Staates, um wichtige Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum zu schützen bzw. deren Verletzung zu sanktionieren. Den Rest überlassen wir gern den Zivilisten und Verwaltungsrechtlern.

Frühjahrsputz - die 5 unbekanntesten Straftatbestände - Liebscher Strafrecht

Vor einigen Tagen bin ich in der LTO auf den interessanten Artikel „Ist das kri­mi­nell oder kann das weg?“ von Katharina Reisch gestoßen, in dem es darum geht, dass der Bundesjustizminister unser Strafgesetzbuch in einer Art Frühjahrsputz von Altlasten befreien möchte. Das Strafrecht ist immer ein Spiegel seiner Zeit und der Gesetzgeber versucht bekanntlich immer wieder, neue Kriminalitätsphänomene mit neuen Straftatbeständen zu bekämpfen. Manchmal muss man aber auch Normen, die ihren Zweck verfehlt haben, korrigieren oder Uralt-Tatbestände, deren Zweck überhaupt kein lebender Mensch mehr nachvollziehen kann, aussortieren. Als Beispiele für solche „(Un-)Toten Tatbestände“ nennt Reisch historische Highlights der Strafgesetzgebung wie

Die drei haben meine Top 5 der unbekanntesten Straftatbestände nur deshalb knapp verfehlt, weil ich mich als Strafverteidigerin noch nie von Berufs wegen mit Ihnen befassen musste und auch noch nicht mal davon gehört oder gelesen habe, dass überhaupt jemals jemand wegen dieser Taten verurteilt wurde. Natürlich ist es nicht okay auf einer Beerdigung zu jodeln (wie auch sonst im Leben), oder zum Verwandtenbesuch in der Suchtklinik den Flachmann rumgehen zu lassen. Aber um von solchen Missetaten abzuschrecken bedarf es wohl nicht des schärften Schwertes unserer Rechtsordnung. Ich frage mich auch, wie der Deutsche Durchschnittspolizist einen ansieht, wenn man zur Anzeige bringt, dass ein rüpelhafter Rechtsbrecher ein bundesbeadlertes Schriftstück aus einem öffentliche Bekanntmachungskasten entrissen hat.

Jedenfalls habe ich den LTO-Artikel mit seiner Ansammlung strafrechtlicher Dunkelnormen zum Anlass genommen, einen kleinen Streifzug durchs StGB zu unternehmen und meinen Lesern fünf Straftatbestände vorzustellen, die ebenso obskur, aber keinesfalls irrelevant sind.

medizinische Masken - die 5 unbekanntesten Straftatbestände - Liebscher Strafrecht

Bis vor nicht allzu langer Zeit war mein persönlicher Favorit unter den unbekannten Straftaten übrigens § 278 StGB, das Ausstellen falscher Gesundheitszeugnisse. Demnach machen sich z.B. Ärzte strafbar, die Patienten Atteste über tatsächlich nicht vorhandene Krankheiten ausstellen. Interessant ist nämlich, dass schriftliche Lügen grundsätzlich nicht strafbar sind. Der Tatbestand der Urkundenfälschung (§ 267 StGB) schützt nämlich die Integrität einer verkörperten Gedankenerklärung im Rechtsverkehr, nicht die Richtigkeit dieser Gedankenerklärung: wenn Fritzchens Mutter ihm einen Entschuldigungszettel für die Schule schreibt, dessen Inhalt geschwindelt ist – „Fritzchen kann heute leider nicht am Schwimmunterricht teilnehmen, da er seine Tage hat. Gez. Fritzchens Mutter“ – handelt es sich nicht um eine Urkundenfälschung, denn die Ausstellerin hat ja genau diese Erklärung abgegeben. Bei Ärzten soll man sich nach dem Willen des Gesetzgebers aber schon darauf verlassen dürfen, dass ihre „Entschuldigungszettel“ auch inhaltlich Tatsachen entsprechen, weshalb ein ärztliches Attest mit der entsprechenden Aussage über Fritzchens Zustand den Straftatbestand des § 278 StGB erfüllen würde. Als Arzt Gefälligkeitsatteste auszustellen („Ich brauch mal ’ne Woche Pause, Doc!“) war schon vor der massenhaften Ausstellung von falschen Masken-Attesten eine Straftat. Nachdem nun bereits einige Ärzte dafür verurteilt wurden ist die Bekanntheit des Tatbestandes aber rapide gestiegen.

Tellerwäscher, Ausbeutung der Arbeitskraft - die 5 unbekanntesten Straftatbestände - Liebscher Strafrecht

§ 233 StGB - Ausbeutung der Arbeitskraft

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, oder wer eine andere Person unter einundzwanzig Jahren ausbeutet
1. durch eine Beschäftigung nach § 232 Absatz 1 Satz 2,
2. bei der Ausübung der Bettelei oder
3. bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen durch diese Person.

(2) Auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn 1. das Opfer zur Zeit der Tat unter achtzehn Jahren alt ist,
2. der Täter das Opfer bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung wenigstens leichtfertig in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt,
3. der Täter das Opfer durch das vollständige oder teilweise Vorenthalten der für die Tätigkeit des Opfers üblichen Gegenleistung in wirtschaftliche Not bringt oder eine bereits vorhandene wirtschaftliche Not erheblich vergrößert oder
4. der Täter als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder auf Geldstrafe zu erkennen, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

(5) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer Tat nach Absatz 1 Nummer 1 Vorschub leistet durch die
1. Vermittlung einer ausbeuterischen Beschäftigung (§ 232 Absatz 1 Satz 2),
2. Vermietung von Geschäftsräumen oder
3. Vermietung von Räumen zum Wohnen an die auszubeutende Person. Satz 1 gilt nicht, wenn die Tat bereits nach anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.

Dieser Straftatbestand kam 2016 durch das Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels ins Strafgesetzbuch und befindet sich im 18. Abschnitt, Straftaten gegen die persönliche Freiheit, in der Umgebung von Menschenhandel  (§ 232) und Zwangsprostitution (§ 232a). Während der Schwester-Tatbestand der Zwangsarbeit (§ 232b) z.B. Schleuser erfasst, die illegale Migranten in „ausbeuterische Beschäftigungen“ oder organisierte Bettelei drängen, erfasst Ausbeutung der Arbeitskraft (§ 233) diejenigen Arbeitgeber, die die Arbeiter unter Ausnutzung von deren Zwangslage tatsächlich beschäftigen. Zuvor war es (abgesehen von „klassischen“ Schwarzarbeit-Delikten wie § 266a StGB und Verstößen gegen das MiLoG) nicht möglich, solche ausbeuterischen Arbeitgeber zu bestrafen wenn man ihnen nicht nachweisen konnte, dass sie die Zwangslage der ausgebeuteten Person selbst geschaffen und diese zur Aufnahme der ausbeuterischen Arbeit veranlasst haben. Kurz: bislang musste die Justiz dem Arbeitgeber nachweisen können, den Arbeiter selbst „versklavt“ zu haben, um ihn wegen Zwangsarbeit bestrafen zu können. Für den neuen Tatbestand reicht es aus, dem Arbeitgeber die Ausbeutung nachzuweisen. 

Soweit ich recherchieren konnte sind Verurteilungen wegen § 233 StGB (noch) nicht sehr häufig. Der Bundesgerichtshof hat allerdings bereits entschieden (Beschluss vom 11.01.2022, 3 StR 177/21), dass ein „besonderes Abhängigkeitsverhältnis“ zwischen Opfer und Täter zur Erfüllung des Tatbestands nicht erforderlich ist. Als Täter erfasst werden damit nicht nur Personen, die z.B. Teil eines kriminellen Netzwerks ist, das gezielt Arbeiter ausbeutet. Auch eigentlich redliche Arbeitgeber, die Personen in Zwangslagen ausbeuten – man denke an illegal eingewanderte Pflege- oder Reinigungskräfte, die „schwarz“ beschäftigt und viel zu gering entlohnt werden – können also wegen Ausbeutung der Arbeitskraft bestraft werden.

Gewaltdarstellung - die 5 unbekanntesten Straftatbestände - Liebscher Strafrecht

§ 131 StGB - Gewaltdarstellung

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildert, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt,
a) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht,
b) einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überlässt oder zugänglich macht oder
2. einen in Nummer 1 bezeichneten Inhalt (§ 11 Absatz 3) herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diesen ein- oder auszuführen, um ihn im Sinne der Nummer 1 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 ist der Versuch strafbar.

(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Handlung der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient.

(3) Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b ist nicht anzuwenden, wenn der zur Sorge für die Person Berechtigte handelt; dies gilt nicht, wenn der Sorgeberechtigte durch das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen seine Erziehungspflicht gröblich verletzt.

Der Tatbestand der Gewaltdarstellung existiert bereits seit 1973 und soll die Verbreitung von gewaltverherrlichenden und gewaltverharmlosenden Inhalten sanktionieren. Ein großer Teil der Gewaltdarstellungen, mit denen der Normalbürger konfrontiert wird, kommt aus der Berichterstattung über aktuelle oder historische Ereignisse; dieser soll laut Absatz 2 nicht vom Tatbestand erfasst sein. Für künstlerische Darstellungen gilt, dass sie nicht gewaltverherrlichend oder -verharmlosend sein dürfen und Gewalt nicht derart exzessiv darstellen dürfen, dass der Mensch zum Objekt gemacht und damit in seiner Menschenwürde verletzt wird. Zwischen künstlerisch wertvollem Schock-Effekt und herabwürdigendem Gewaltporno verläuft eine kaum fassbare Grenze, für die dasselbe gilt wie für so viele juristischen Grenzen: auf welcher Seite man sich befindet, sagt einem im Zweifel erst ein Gericht.

Laut den Kriminalstatistiken des Statistischen Bundesamtes kommt es in ganz Deutschland jährlich zu Verurteilungen im unteren zweistelligen Bereich. Damit gehört § 131 StGB, aller Splatter-Filme und Serienmörder-Serien zum Trotz, zu den seltenen Straftaten. Mir selbst ist das Delikt in meiner Tätigkeit als Strafverteidigerin tatsächlich bereits untergekommen: mein jugendlicher Mandant hatte in Chats mit Gleichaltrigen ein paar Videodateien verbreitet, in denen Menschen schwerste Gewalt bis hin zum Mord angetan wird – und zwar augenscheinlich Videos von echten Taten, keine Clips aus irgendwelchen Horrorfilmen. Da mein Mandant das Ansehen solcher Videos offensichtlich als eine Art jugendliche Mutprobe empfunden hatte, die ihn selbst dann ziemlich schockiert und beschämt hat, war die Strafe, die er vom Jugendrichter erhalten hat, am Ende recht milde. Dass die Verbreitung von Mord- und Folter-Videos unter Strafe steht, halte ich aber für richtig und wichtig und sehe darin – im Gegensatz zur Zensur von blutigen Action- und Horrorfilmen – auch den weitaus praxisrelevanteren Anwendungsbereich.

Person lauscht an Tür - Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen - die 5 unbekanntesten Straftatbestände - Liebscher Strafrecht

§ 353d StGB - Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen

Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. entgegen einem gesetzlichen Verbot über eine Gerichtsverhandlung, bei der die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, oder über den Inhalt eines die Sache betreffenden amtlichen Dokuments öffentlich eine Mitteilung macht,
2. entgegen einer vom Gericht auf Grund eines Gesetzes auferlegten Schweigepflicht Tatsachen unbefugt offenbart, die durch eine nichtöffentliche Gerichtsverhandlung oder durch ein die Sache betreffendes amtliches Dokument zu seiner Kenntnis gelangt sind, oder
3. die Anklageschrift oder andere amtliche Dokumente eines Strafverfahrens, eines Bußgeldverfahrens oder eines Disziplinarverfahrens, ganz oder in wesentlichen Teilen, im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist.

Dieses Delikt befindet sich in seiner jetzigen Ausgestaltung seit 1974 im StGB. Grundsätzlich sind alle Hauptverhandlungen vor deutschen Strafgerichten öffentlich, d.h. jedermann kann sich jederzeit in einen Gerichtssaal setzen und der Strafjustiz bei der Arbeit zusehen. Auch die Medien dürfen jeder Verhandlung beiwohnen und darüber berichten, wobei filmen und fotografieren jedoch gesonderte Erlaubnisse erfordern. Ausnahmen vom Öffentlichkeitsgrundsatz gibt es nur in Verfahren gegen Jugendliche oder wenn die Öffentlichkeit für bestimmte Teile der Verhandlung – beispielsweise zur Vernehmung empfindlicher Zeugen – ausgeschlossen ist. Die ersten beiden Ziffern von § 353d sollen sicherstellen, dass Tatsachen aus nichtöffentlichen Verhandlungen nicht doch an die Öffentlichkeit gelangen, was ganz offensichtlich Sinn macht.

Ziffer 3 ist viel interessanter und viel praxisrelevanter: demnach ist es verboten, Dokumente aus laufenden Strafverfahren, die noch nicht in öffentlicher Hauptverhandlung erörtert worden sind, zu veröffentlichen. Damit sollen sowohl dem Persönlichkeitsrecht der Betroffenen als auch der Unbefangenheit der Verfahrensbeteiligten Rechnung getragen werden. Insbesondere Journalisten und Blogger, aber auch öffentlichkeitssuchende Verfahrensbeteiligte (Stichwort: Litigation-PR) müssen diese Einschränkung also beachten, wenn sie über laufende Verfahren berichten. Zwar gab es in den vergangenen Jahrzehnten regelmäßig nur eine einstellige Zahl von Verurteilungen in Deutschland. Ich gehe aber davon aus, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt von Fällen, in denen Beteiligte ihr laufendes Verfahren in den sozialen Medien auswerten und Dokumente posten, wobei sich viele vermutlich gar nicht der Strafbarkeit bewusst sind, da sie niemand darauf hinweist oder die Sache zur Anzeige bringt. Ich kann mir daher durchaus vorstellen, dass eine größere Bekanntheit des Straftatbestands zu höheren Verurteilungszahlen führen würde.

Spanner - heimliche Aufnahme - die 5 unbekanntesten Straftatbestände - Liebscher Strafrecht

§ 201 StGB - Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt
1. das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt oder
2. eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht.

(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt
1. das nicht zu seiner Kenntnis bestimmte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen mit einem Abhörgerät abhört oder
2. das nach Absatz 1 Nr. 1 aufgenommene oder nach Absatz 2 Nr. 1 abgehörte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen im Wortlaut oder seinem wesentlichen Inhalt nach öffentlich mitteilt. Die Tat nach Satz 1 Nr. 2 ist nur strafbar, wenn die öffentliche Mitteilung geeignet ist, berechtigte Interessen eines anderen zu beeinträchtigen. Sie ist nicht rechtswidrig, wenn die öffentliche Mitteilung zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird.

(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer als Amtsträger oder als für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter die Vertraulichkeit des Wortes verletzt (Absätze 1 und 2).

(4) Der Versuch ist strafbar.

(5) Die Tonträger und Abhörgeräte, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, können eingezogen werden. § 74a ist anzuwenden.

Dieser 1967 eingeführte Straftatbestand soll laut den gängigen Gesetzeskommentaren „das nichtöffentlich gesprochene Wort“ schützen, also die freie Persönlichkeitsentfaltung durch unbefangene Äußerungen ohne die Angst haben zu müssen, dass man heimlich aufgezeichnet wird. Während bei Einführung des (Reichs-)Strafgesetzbuchs im Jahr 1871 die Gefahr, unbefugt mitgeschnitten zu werden, noch nicht bestand, sah das Mitte des 20. Jahrhunderts schon anders aus. Der weitere technische Fortschritt brachte dann die Schwester-Norm des § 201a StGB mit sich, welcher seit 2004 die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen unter Strafe stellt. Seine Mitmenschen im privaten Rahmen unbefugt mitzuschneiden, zu fotografieren oder zu filmen kann also eine Straftat sein, die nur im Einzelfall – z.B. bei Wahrnehmung übergeordneter rechtlicher Interessen im Rahmen eines Gerichtsverfahrens – gerechtfertigt sein kann. Klassische Fallgruppen der §§ 201, 201 StGB, die in der Rechtspraxis immer wieder heiß diskutiert werden, sind etwa Dashcams in Autos, Überwachungskameras von der Kamera-Türklingel bis zur Nanny-Cam, oder heimliche Aufzeichnungen von Personalgesprächen zu Beweiszwecken.

Ob solche Handlungen im Einzelfall zulässig sind oder nicht hat nicht nur Auswirkungen auf die Strafbarkeit, sondern auch auf die Verwertbarkeit solcher Aufzeichnungen, die je nach Gerichtsbarkeit und betroffenen Rechtsgütern durchaus unterschiedlich bewertet werden kann. Im Strafverfahren ist die grundlegende Linie übrigens sehr verwertungsfreundlich: selbst dann, wenn Ton- oder Bildaufnahmen rechtswidrig entstanden sind, werden sie von Strafgerichten häufig dennoch verwertet, da das Rechtsgut der Freiheit (des Angeklagten) auf dem Spiel steht und dieses in der Regel als höherwertiger angesehen wird als die Privatsphäre des von der unbefugten Aufnahme Betroffenen.

Person nimmt Gespräch auf - Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes - die 5 unbekanntesten Straftatbestände - Liebscher Strafrecht

Im Blick behalten sollte man unbedingt auch Handlungen im privaten Bereich: unbefugte Gesprächsmitschnitte unter Bekannten oder heimliche Fotos aus dem „höchstpersönlichen Lebensbereich“ werden zwar häufig als Scherze abgetan und selten angezeigt, sind aber dennoch kein Kavaliersdelikt, sondern Straftaten, die mit Geld- oder Freiheitsstrafen belegt sind. Ich erinnere mich an eine Mandantin, die im Facebook-Account ihres Partners nach Beweise für seine Untreue suchte und auch welche fand – in Form von charmanten Unterwäsche-Fotos einer anderen Dame, die meine Mandantin speicherte und an ihre beste Freundin weiterschickte, um sie mit ihr auswerten und sich über den fremdgehenden Partner aufregen zu können. Dass das überhaupt nicht okay war, hat dann das Gericht mit ihr ausgewertet und dafür eine Geldstrafe gegen sie verhängt.

Karte mit Pins - Verbreitung personenbezogener Daten - die 5 unbekanntesten Straftatbestände - Liebscher Strafrecht

§ 126a StGB - Gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten

(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) personenbezogene Daten einer anderen Person in einer Art und Weise verbreitet, die geeignet und nach den Umständen bestimmt ist, diese Person oder eine ihr nahestehende Person der Gefahr
1. eines gegen sie gerichteten Verbrechens oder
2. einer gegen sie gerichteten sonstigen rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert auszusetzen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Handelt es sich um nicht allgemein zugängliche Daten, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.

(3) § 86 Absatz 4 gilt entsprechend.

Der Spitzenreiter in meinen Top 5 ist erst seit 2021 in Kraft und damit der jüngste der hier vorgestellten Straftatbestände. Das erklärt wohl auch die Unbekanntheit der Norm, von deren Existenz ich ehrlich gesagt bis zu der Recherche für diesen Artikel überhaupt nichts wusste. Ich habe einfach die aktuelle Fassung des StGB aufgerufen in der Gewissheit, dass ich bestimmt etwas spannendes finde, wovon ich noch nie gehört habe. Denn auch wenn man wie ich täglich mit dem Gesetz arbeitet, gibt es immer Bereiche, in denen man selten oder nie unterwegs ist. Und der Gesetzgeber lässt sich immer wieder was Neues einfallen damit einem nicht langweilig wird. Ich muss auch gestehen, dass ich beim ersten Lesen der Norm an den Drachenlord dachte und durchaus erstaunt war, dass dieser offenbar die Macht hat den Gesetzgeber zu beeinflussen. Das sagt vermutlich mehr über meinen Internetkonsum aus als über die tatsächliche Macht des Drachenlords. Der reale Anlass für die neue Strafnorm war nämlich ein ganz anderer.

Unter Strafe gestellt wird eine ganz konkrete Form von Doxing (Doxxing, doxen/doxxen), also das Veröffentlichen personenbezogener Daten in der Absicht, die Person zu schädigen. In das StGB eingefügt wurde die Norm durch das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten, Strafbarkeit der Verbreitung und des Besitzes von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern und Verbesserung der Bekämpfung verhetzender Inhalte sowie Bekämpfung von Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen vom 14.9.2021. Im Jahr 2018 war in Mecklenburg-Vorpommern das rechtsextreme Netzwerk Nordkreuz aufgedeckt worden, das eine sogenannte Feindesliste mit u.a. den Privatadressen tausender politischer Gegner geführt hat. Diese Liste sollte wohl dem Zweck dienen, diese Gegner bei einem staatlichen Umsturz schnell und zielgerichtet festnehmen und töten zu können.

dystopische Szenerie - die 5 unbekanntesten Straftatbestände - Liebscher Strafrecht

Durch die neue Strafnorm sollen sowohl der öffentliche Friede sowie die Sicherheit der Betroffenen geschützt werden. Während das Töten politischer Gegner zweifelsohne strafbar ist, wäre die Erstellung und Verbreitung der Feindesliste ohne den neuen Tatbestand allenfalls eine straflose Vorbereitungshandlung gewesen. Der Versuch einer Straftat und damit der Beginn der Strafbarkeit liegt gemäß § 22 StGB nämlich erst dann vor, wenn der Täter zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt – und nicht bereits, wenn er plant, was er eines Tages unter bestimmten Umständen tun könnte. Gleichzeitig birgt insbesondere die Verbreitung einer Feindesliste, die zum Liquidieren der aufgeführten Personen anstacheln soll, weitaus mehr Gefahrenpotential für das bedrohte Rechtsgut als straflose Vorbereitungshandlungen eines Einzeltäters. Diesen sozialen Sprengstoff soll der neue Tatbestand entschärfen. Ob das gelingt, oder ob das Gefährdende Verbreiten personenbezogener Daten irgendwann das Schicksal untoter Tatbestände wie der Gefährdung einer Entziehungskur teilen wird, bliebt abzuwarten. Eine Verurteilung wegen § 126a ist mir bislang jedenfalls nicht bekannt geworden.

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